Meine Geschichte

Angefangen hat es mit einer bis zu den Altgroßeltern meiner Mutter zurückreichenden Ahnentafel. Die dort genannte älteste Jahreszahl -1787- und ein paar Fotografien, die meine Mutter auf der Flucht aus Danzig-Oliva 1945 im Fluchtgepäck hatte, lösten den ersten Genealogie-Fieberschub aus.

Damals war es unvorstellbar, jemals die hinter dem eisernen Vorhang verschlossenen Daten der Familie meiner Mutter zu ergänzen oder gar weiter in die Vergangenheit vorzudringen. Dieser Teil der Familie stammte überwiegend aus West- und Ostpreußen, Pommern, Posen und Schlesien. Nur ein Urgroßvater stammte immerhin aus dem Ostharz, der damaligen "Zone". Nachdem der erste Kontakt zum damaligen Pfarrer in Weddersleben bei Quedlinburg geknüpft war, hatte mein Taschengeld fortan einen konkreten Verwendungszweck:

Der Pfarrer sandte mir nun regelmäßig Abschriften aus den dortigen Kirchenbüchern und erbat sich hierfür Spenden für die Kirchturmsanierung, die dann auf umständlichem Weg in die damalige DDR  gelangten.

Ahnenlistenumläufe, Bibliotheks- und Archivbesuche, Suchanzeigen in Familienkundlichen Nachrichten,- es war ein mühsames und meist vergebliches Unterfangen, noch weiter in die Geschichte vorzudringen.  

Die väterlichen Vorfahren stammen nahezu alle aus Ostholstein. Aufgrund der guten Erreichbarkeit war hier das Forschen zunächst leichter, aber durch die Terminvergaben für wenige Stunden nie umfassend erfolgreich.

 

Den großen Durchbruch gab es ab dem Jahr 1999 mit den Anfängen des Internets.

Seitdem werden immer mehr Daten, ja ganze Kirchenbücher und sonstige Archivalien aus Ost- und West online zur Verfügung gestellt.

Damit ist der Virus, der nie ganz zum Erliegen kommt, einem ständigen Neuaufleben unterworfen. Denn die Frage, die mit jedem neu entdeckten Ahnen einhergeht, lautet:

 

"Und wer waren dazu die Eltern? Die müssen doch auch zu finden sein..."

 

---

 

Mein schönster Fund

Über meine Alturgroßmutter, Ahnenziffer 59 wusste ich damals nur wenig: Sie hieß  Wilhelmine Obersteller und heiratete am 10.10.1834 in Posen meinen Alturgroßvater Johann David Hirll, einen Salzmagazinverwalter und Steueraufseher in Posen.

Dass der Familienname "Obersteller" kaum danach klingt, nach Posen, geschweige denn überhaupt in diesen Landstrich zu gehören, fällt schnell auf. Daher weckte dieser Name mein besonderes Interesse. 

1987 fand ich beim Stöbern im Hamburger Telefonbuch 5 Einträge mit genau diesem Familiennamen.

Eine kurze Vorstellung meines Anliegens war schnell geschrieben und 5 Briefe mit Rückporto gingen zur Post. Die ersten Rückläufer mit dem Hinweis "Empfänger verstorben" oder "unbekannt" kamen schnell, doch dann traf eine Postkarte eines Herrn Gerd Obersteller ein, der mich informierte, dass man über meine Post überrascht gewesen sei und ich mich freuen solle, in Kürze von einer Frau Andrea Obersteller zu hören...

Und es dauerte auch nicht lange, bis ein Brief eintraf.

Den Zeilen konnte ich entnehmen, dass meine Alturgroßmutter Carolina Wilhelmina Obersteller hieß und 1796 in Labiau geboren wurde. Sie stammte von Salzburger Protestanten ab, die 1732 aus St. Johann im Pongau aus Glaubensgründen weichen mussten und in Ostpreußen ein neues Zuhause fanden. 1869 starb sie in Posen. Auch dass sie 1834 jenen Johann David Hirll geheiratet hatte, war den Oberstellers bekannt, aber niemand hatte geahnt, dass sie angesichts ihres fortgeschrittenen Alters auch noch Kinder mit diesem hatte, nämlich meine 1835 geborene Altgroßmutter Helene Karoline Wilhelmine Arlt geb. Hirll.

1807 verstarben binnen weniger Tage Carolina Wilhelmines Eltern. Sie kam zu Verwandten nach Königsberg und lernte dort vermutlich während des napoleonischen Kriegszuges einen französischen oder russischen Soldaten kennen. 1818 wurde ihr Sohn Friedrich Wilhelm Alexander geboren, der zahlreiche Nachkommen hatte. Eben auch seine Ururururenkelin Andrea Obersteller.

Aber nicht nur den Zeilen konnte ich so viel Neues entnehmen,- nein, es fiel auch ein Bild heraus, welches meine Alturgroßmutter zeigte. Bis heute ist dies die einzige Fotografie einer noch im 18. Jahrhundert geborenen Ahnin in meinem Fundus.

Einer ihrer Onkel war einer der ersten Photographen, der bereits 1842 die Verlobung von Friedrich Wilhelm Alexander Obersteller  mit Auguste Eleonore Poethke im Bild festhielt.

Während dessen Kinder noch Paten bei meinem Urgroßvater Emil Arlt waren, wuchs meine Mutter bereits in dem Wissen auf, dass es seitens ihrer Mutter keine Verwandten gegeben habe. Genauso verhielt es sich mit dem Familienzweig des F.W.A. 

Es folgte ein reger Briefwechsel, Besuche und viel Informationsaustausch.

Die Familie Obersteller war sich ihrer Herkunft stets bewusst und hatte schon vor dem 1. Weltkrieg Ahnenforschung betrieben. So reichte auch mein Stammbaum schnell bis ins frühe 17. Jahrhundert zurück und durch passende Literatur bald sogar bis ins 13. Jahrhundert. 

Gerd Obersteller, Jahrgang 1924, war lange Jahre Vorsitzender des Salzburger Verein. Mit ihm konnte ich über bald 30 Jahre manche Forscherfrage klären. Die Verwandtschaft zu ihm war etwas weitläufiger, doch gleichwohl pflegte er zu allen lebenden Obersteller's in Nah und Fern einen regen Kontakt und informierte zum Jahreswechsel als Familienvorstand über Freud und Leid in der großen Familie. Gerd stammte ab von Wilhelm Oberstallner, der mit seinem Bruder Michael Oberstallner 1732 nach Labiau kam. Letzterer war der Urgroßvater meiner Carolina Wilhelmina. Während ich Gerd zu seinem 89. Geburtstag aus dem Garten ans Telefon holen lassen musste, wo er gerade auf der Leiter stehend die Obstbäume schnitt, wurde es wenige Monate nach seinem 90. Geburtstag still. 2016 ist Gerd im 92. Lebensjahr eingeschlafen.

 

---

 

Von Obersteller zu Michelau...

1992 zog ich nach Hamburg-Neugraben um und trat in den Chor der dortigen St. Michaelis-Gemeinde ein. Auch Diakon Uwe Michelau war Mitglied dieses Chors. Ich erzählte ihm, dass die Mutter meiner Alturgroßmutter Carolina Wilhelmina Obersteller ebenfalls eine geborene Michelau war. So vereinbarten wir, dass wir uns einmal zusammensetzen, um unsere Familiengeschichten zu vergleichen. 8 Jahre gingen ins Land, bis wir im Jahr 2000 endlich dazu kamen. Bei einem Glas Rotwein stießen wir darauf an, es mit einem Treffen wahr gemacht zu haben. Uwe holte einige Familienunterlagen, die sein Großonkel Dr. phil Erich Michelau 1934 fertiggestellt hatte. 

Und schon gab es den zweiten Anlass, sich zuzuprosten: Meine Ahnin Regina Elisabeth Obersteller geb. Michelau starb 1807 in Labiau, und in den alten Unterlagen des Dr. Erich Michelau fand sich schnell, dass auch die Familie von Uwe Michelau mit dieser Stadt verbunden war.

Aller guten Dinge sind drei,- wir prosteten uns erneut zu, als ich auf mehr als der Hälfte der Unterlagen auf meine Regina Elisabeth Michelau stieß, geboren 1762 in Klein Reikeningken. Schnell war die Linie von Uwe Michelau parallel verfolgt,- sein Ahn war tatsächlich der Halbbruder aus erster Ehe des Vaters.

Die Forschung des Dr. Erich Michelau reichte lückenlos bis 1565 zurück und enthielt zudem eine Geschichte des Gutes Jourlauken bei Labiau, dem Stammsitz der Familie.

Jourlauken, in alten Urkunden auch Gorlauken, Gurlaucken und ähnlich genannt, wurde erstmals 1371 erwähnt, verwilderte aber wohl bis 1463 wieder. Die Handveste, die Verleihung des 8 Haken großen Gutes zu "Preußisch Frey erblich und ewiglich" aus dem Jahr 1463 war auf Andres Packmohr ausgestellt und konnte 1718 noch von Christian Michelau vorgezeigt werden. Ob Andres Packmohr oder der spätere Besitzer Valtin Specklauck, der das Gut 1551 an Gorgenn vonn Stalienn, den Stammvater der Michelaus verkaufte, ebenfalls Ahnen waren, ließ sich bisher nicht feststellen. Die Michelau's und die gesamte Geschichte des Hofes Jourlauken werden  auch auf einer eigenen Seite dargestellt werden.

 

---

 

Von Michelau zu Rosenberger

Aus den Michelau'schen Unterlagen ergab sich, dass mein Urahn Christian Michelau mit Esther Elisabeth Rosenberger aus Goldbach verheiratet war. Das (später angefochtene) Testament von 1745 ließ ich mir vom Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin zusenden. Esther Elisabeth war bereits schwer erkrankt und wohl die Seele des Testaments. 1748 verstarb sie. Ihr Vater war der Goldbacher Pfarrer Johann Georg Rosenberger, der seinen Söhnen und Töchtern bereits zur Taufe hochrangige Paten zur Seite stellte. Über ihn und seine zum teil honorigen Nachkommen und deren angeheiratete Familien gibt es eine 1906 in Litauen gedruckte Abhandlung. 

Zu den angeheirateten Familien gehören zwei Töchter Johann Georg Hamann's, dem "Magus im Norden". Er war ein Freund Immanuel Kants. Johann Heinrich Wichern, weit über Hamburgs Grenzen hinaus bekannt, war Schwiegervater einer Rosenbergerin, die Freiherren Freitag von Loringhofen, die von Attelmayr, von Pantzer, Janssen von Denffer, und viele mehr tragen Rosenbergers Blut weiter. Über die Rosenberger's und deren über 200 bekannten Nachkommen wird es ebenfalls eine eigene Rubrik geben. Etwa ein Fünftel der Nachkommen hat sich als Theologe, Philosoph oder Wissenschaftler einen Namen gemacht.

 

---